Festival im E-Werk/Deutsches Nationaltheater Weimar
10. bis 12. Oktober 2008

Eine Veranstaltung des Deutschen Nationaltheaters Weimar in Kooperation mit der Europäischen Ost-West-Akademie für Kultur und Medien e.V., der Stadtkulturdirektion Weimar, dem Goethe-Institut Weimar, dem Lichthauskino Weimar und dem Theater Bonn

2004 hat die Orangene Revolution die Ukraine für kurze Zeit bei uns salonfähig gemacht. Unsere Fernsehbildschirme bevölkerten junge Menschen, die in Kiew wochenenlang in Eiseskälte auf dem Platz der Unabhängigkeit, dem Maidan, ausharrten, um für Demokratie und Meinungsfreiheit zu kämpfen. Als die spektakulären Bilder abgelöst wurden von den Wirren der Realpolitik, und als sich in der Ukraine dann doch nicht alles von einem Tag auf den anderen ändern sollte, verschwand das Land wieder aus unserem Sichtfeld. Heute dominieren – wie auch bei manch anderem osteuropäischen Land – Berichte über Prostitution, Armut und Mafia. Der „Skandal“ um eine allzu lockere Visumsvergabe durch die deutschen Botschaften trug das Seinige dazu bei.

Dabei war die Orangene Revolution weder Beginn noch Ende einer gesellschaftlichen Bewegung, sondern symptomatisch für einen stetigen Entwicklungsprozess: eine neue Generation ist in der Zeit seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 herangewachsen, eine Generationen mit freiem Zugang zum weltweiten Informationsfluss, eine reiselustige Generation, die sich in Europa und der ganzen Welt umsieht. Sie ist es, die das Land von unten erneuert, kreativ neue Wege beschreitet und mit Macht den Anschluss an das moderne Europa sucht.

In einem Europa, das von der portugiesischen Atlantikküste bis zum russischen Ural reicht, liegt die Ukraine mitten drin und ist mit seinen 46 Millionen Einwohnern eines der bevölkerungsreichsten europäischen Länder. Dennoch wollen wir ihm aus EU-europäischer Sicht nur eine marginale Position zubilligen. Wo nun stehen die jungen Ukrainer, wo sehen sie sich selbst? Es lohnt sich, einen Blick über den Tellerrand zu werfen und sie selbst zu befragen. Dies hat die Europäische Ost-West-Akademie für Kultur und Medien e.V. im Herbst 2007 mit einer kleiner Gruppe junger Theatermacher getan. Gemeinsam sind sie nach Lemberg gefahren, eine Stadt in der Westukraine mit turbulenter Vergangenheit, die im Laufe ihrer Geschichte polnisch, ungarisch, österreichisch, deutsch, sowjetisch und schließlich ukrainisch war.

Die Begegnung mit ukrainischen Romanen, Theaterstücken und Musik, mit Schriftstellern, Dichtern, Schauspielern und Regisseuren warf Fragen auf, und der Aufbruchsgeist und die unablässige Suche der jungen Lemberger – vor allem auch nach der eigenen Verortung – steckte an. So entstanden zwei Theaterproduktionen und das kleine Festival Die junge Ukraine: mitten am Rand.

Eröffnet wird das Festival mit einer Party: der aus der Ukraine stammende DJ Juriy Gurzhy hat in Berlin mit dem russischen Schriftsteller Wladimir Kaminer zusammen die Russendisko gegründet, die in den letzten Jahren weit über die Stadtgrenzen hinaus Berühmtheit erlangt hat. Am 10. Oktober ist die Russendisko zu Gast in Weimar, und DJ Juriy Gurzhy präsentiert die gerade erschienene CD „Ukraine do Amerika“ mit aktuellen Hits des alternativen ukrainischen Underground von Folkrock über Polka-Ska und Hutzul Ethno-Ska bis Cabaret-Klezmer-Punk.
(www.myspace.com/russendiskoberlin)

Nora Schlocker stellt mit ihrer Inszenierung „Die Anbetung der Eidechse oder wie man Engel vernichtet“ Ljubko Deresch, den jüngsten unter den erfolgreichen ukrainischen Schriftstellern vor, der mit gerade erst 24 Jahren inzwischen schon auf drei Romane in deutscher Übersetzung verweisen kann. Der größte Teil seiner Protagonisten kennt die Ukraine nur als unabhängiges Land und die sowjetische Vergangenheit nur aus Erzählungen. (Premiere 11.10.)

In einer Autorenlesung stellt das Festival junge Dichter vor. Lyrik hat in der Ukraine einen hohen Stellenwert und eine große Fangemeinde, Lesungen muten mitunter wie Popkonzerte an. Auch bei uns bekannt ist inzwischen Serhij Zhadan, allerdings als Autor von Romanen mit Titeln wie „Depeche Mode“ und „Anarchy in the UKR“. In seinen Texten verbinden sich Anarchie und Poesie und beschreiben das Chaos der Umbruchszeit. Auch Ostap Slyvynsky und Halyna Krouk sind gefragte Gäste internationaler Lyrik-Festivals, die in Deutschland bisher aber noch wenig bekannt sind. In Weimar präsentieren sie ein Best Of ihrer jüngsten Werke. (12.10.)

Die Regisseurin Nora Mansmann und die Dramaturgin Natalie Driemeyer haben sich gemeinsam mit der ukrainisch-deutschen Schauspielerin Nina Vodop´yanova auf die Suche nach der Heimat begeben. Ihr „heimatabend“ wurde zu einer „EUkrainischen Identitätssuche“, einer Collage aus historischen Quellen, literarischen und wissenschaftlichen Texten. (Premiere 12.10.)

Im LichtHaus Kino läuft eine Filmreihe mit Dokumentar- und Spielfilmen rund um die Ukraine (7.-12.10.): „Dieses Jahr in Czernowitz“ (D 2004, R: Volker Koepp), „Import/Export“ (Österreich 2007 , R: Ulrich Seidl), „Die Mitte“ (D 2004, R: Stanislaw Mucha), „Alles ist erleuchtet“ (USA 2005, R: Liev Schreiber). Als Gegenstück zur jungen Ukraine stellt René Harder in seiner Dokumentation „Herr Pilipenko und sein U-Boot“ (D 2006) einen skurrilen Bastler vor, dessen Traum sich noch zu sowjetischer Zeit entwickelt hat: Wladimir Pilipenko hat in dreißigjähriger Tüftelarbeit ein U-Boot gebaut. Aus Schrottteilen – mitten in der ukrainischen Steppe. René Harder wird bei seiner Filmpräsentation anwesend sein.

Das Programm im Überblick

„Filmprogramm im Vorfeld des Festivals
Di., 07.10., 19.30 Uhr „Dieses Jahr in Czernowitz“ Lichthaus-Kino
Mi., 08.10., 19.30 Uhr „Import/Export“ Lichthaus-Kino
Do., 09.10., 19.30 Uhr „Die Mitte“ Lichthaus-Kino
Fr., 10.10., 19.30 Uhr „Alles ist erleuchtet“ Lichthaus-Kino

Festival
Fr., 10.10., 22.00 Uhr Eröffnung
Die Russendisko zu Gast in Weimar: CD-Release Party „Ukraine do America“ mit DJ Gurzhy, E-Werk/Kesselsaal

Sa., 11.10., 16:30 Uhr Film
„Herr Pilipenko und sein U-Boot“ (Dokumentarfilm, D 2006, 90 Min,
Regie und Buch: Jan Hinrik Drevs und René Harder)
anschließend (ca. 18:00) Gespräch mit René Harder
LichthausKino

Sa., 11.10., 20:00 Uhr Premiere
„Die Anbetung der Eidechse oder wie man Engel vernichtet“ Regie: Nora Schlocker, Dramatisierung: Eva Szybalski
E-Werk/Maschinensaal

So., 12.10., 16:30 Uhr Autorenlesung
16:30 Uhr Lesung mit Serhij Zhadan
17:30 Uhr Lesung mit Halyna Krouk und Ostap Slyvynsky
anschließend Podiumsdiskussion mit Serhij Zhadan, Halyna Krouk und Ostap Slyvynsky
Moderation: Carola Dürr
E-Werk/Maschinensaal

So., 12.10., 20:00 Uhr Premiere
„heimatabend. Eine EUkrainische Identitätssuche.“
Ein Projekt von Nora Mansmann und Natalie Driemeyer in Kooperation mit Theater Bonn und Nationaltheater Weimar, unterstützt durch die Europäische Ost-West-Akademie für Kultur und Medien e.V.
E-Werk, Kesselsaal

Veranstaltungsorte:
E-Werk, Am Kirschberg 7, 99423 Weimar
LichthausKino Weimar, Am Kirschberg 4, 99423 Weimar