Die diesjährige Recherchereise (19. – 25. September 2016) führt uns nach Jerewan, Armenien. Mit 3,2 Millionen Einwohner gehört das Land, wie Georgien, zu den ältesten christlichen Nationen der Welt. Doch bevor wir sie erkunden, machen wir einen Zwischenstopp in Kiew.

Michal –  Kiew in 4 Stunden! © EOWA

Es bleiben ein paar Stunden, um die Stadt 11 Jahre nach unserem letzten Besuch wiederzusehen. Michal, unser Chauffeur und Stadtführer weiß die knappe Zeit hervorragend zu nutzen.

Kiew 2016 © EOWA

Wir staunen, wie sich Kiew in den letzten Jahren (rein äußerlich) in eine fast schon westlich anmutende Metropole weiterentwickelt hat. Vertraut sind uns noch die zahllosen goldleuchtenden Kirchtürme, die der ukrainischen Hauptstadt einen faszinierenden Glanz verleihen.

 

 

 

Erinnerung an die Toten des Majdan © EOWA

Helme für Ostukraine © EOWA

Doch sobald wir uns dem Majdan nähern, werden wir mit der traurigen Realität der jüngsten Vergangenheit konfrontiert: Hunderte Tafeln, Andenken und Fotos in Erinnerung an die blutige Revolte des Euromajdan in 2014 sind auf der Mauer an einer Straße, die auf den Platz führt, aufgereiht.

 

 

 

 

Unser Gefühl, dass sich dieses Land nach wie vor in einer Krise befindet, verstärkt sich, als man uns im Korrespondentenbüro der Deutschen Welle einen Raum voller Stahlhelme, kugelsichere Westen und Gummistiefel zeigt –  „Arbeitskleidung“ für Journalisten, die aus dem Kriegsgebiet in der Ostukraine berichten. Was für ein Unterschied – als wir 2005 Kiew besuchten, schaute die Ukraine nach der Orangenen Revolution noch voller Zuversicht in die Zukunft.

Unser Guide: Dr. Haykak Arshamyan © EOWA

 

Mitten in der Nacht kommen wir in der armenischen Hauptstadt Jerewan an.

Am nächsten Morgen treffen wir unseren Guide Dr.  Haykak Arshamyan.

Symbol der Stadt – Die große Kaskade © EOWA

Die folgenden Tage sind prall gefüllt: Termine mit Gesprächspartnern aus Regierung, Opposition, NGOs, Medien und Kultur, die uns ein umfassendes Bild über die politische und wirtschaftliche Lage des Landes vermitteln werden.

 

 

Armenien, ein Binnenstaat im Kaukasus liegt zwischen Georgien, Aserbaidschan, dem Iran und der Türkei. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Armenien auf dem Papier unabhängig. Da es aber über keine wertvollen Rohstoffe verfügt und nur von schwachen Regierungen gelenkt wird, kämpft das Land mit vielen Problemen und leidet unter der großen Abhängigkeit  ausländischer Interessen.

Weniger als ein Drittel der rund 10 Millionen ethnischen Armenier auf der Welt lebt in der Republik Armenien. Bei denjenigen, die geblieben sind, wächst die wirtschaftliche Not und damit die Unzufriedenheit. Seit Jahren kommt es immer wieder zu Protesten und Ausschreitungen. Laut Transparency International steht Armenien auf der weltweiten Korruptionsskala auf Platz 113 von 176.

Erst zwei Monate vor unserer Ankunft protestierten tausende Armenier auf der Straße. Am Ende siegten zwar die Machthaber über den Aufstand mit einigen Toten, vielen Verletzten und Verhaftungen, doch solange sich im Lande nichts ändert, brodelt es weiter.

Alle Armenier haben uns gesagt, es müsse sich etwas ändern. Die große Frage bleibt: Nur wie?

Armenischer Alltag © EOWA

 

 

 

Bei unserem ersten Treffen lernen wir eine Institution kennen, die versucht, der gärenden Unzufriedenheit im Lande mit konstruktiven Ansätzen entgegenzuwirken. Nouneh Sarkissian, Verwaltungsdirektor der Media Initiatives Center (MIC) erklärt uns, wie diese NGO mit wenig Geld Pionierarbeit leistet, indem sie Fortbildungen für Journalisten und Lehrer anbietet, um die Bevölkerung via Medien und Bildung zu informieren und Konfliktlösungen im Dialog zu fördern.

 

Mesrop-Maschtoz-Institut © EOWA

 

Als nächstes sprechen wir mit Luise Kharatyan, Landesdirektorin des auch in Armenien tätigen deutschen  Volkshochschulverbands, der DVV International. Ein vom BMZ gefördertes Programm betreibt auf verschiedenen Ebenen Erwachsenbildung zu politischen Themen, wie z.B. das Armenien-Türkei-Projekt oder die „alternative Darstellung der Geschichte“ in Bezug auf Stalinismus und Sowjetunion.

 

 

Bei einer Führung im Mesrop-Maschtoz-Institut für alte Schriften, kurz Matenadaran, bewundern wir eine Auswahl von 17,000 Manuskripten, die Armeniens antike und mittelalterliche Wissenschaft und Kultur umfassen. Seit 1997 steht dieses Institut auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes.

 

Armenische Gastfreundschaft ©EOWA

 

 

 

 

 

Nach einem ersten Eindruck von den Problemen des Landes, genießen wir die legendäre armenische Gastfreundschaft durch die Einladung des Fernsehsenders Yerkia Media.  Programmdirektor Gegham Manukyan erläutert uns bei köstlichem armenischen Essen und Wein die vielfältige armenische Medienlandschaft.

 

Der Stolz der Nation © EOWA

Armenien am Nationalfeiertag © EOWA

 

 

 

Am frühen Morgen werden wir von einem lauten anschwellenden Rumpeln geweckt. Ein Blick durchs Fenster: Panzer soweit das Auge reicht und hunderte Soldaten in Ausgehuniform. Wir haben zwar gewusst, dass heute Nationalfeiertag ist und dass eine Militärparade stattfinden soll, aber so ein Aufmarsch vor der eigenen Tür ist schon sehr befremdlich.

 

 

 

Entlang der Hauptstraßen stehen zehntausende Menschen und jubeln vorbeirasselnden Panzern und marschierenden Soldaten zu. Wir haben den Eindruck, dass die Bevölkerung sehr stolz auf ihr Militär ist.

 

Aufschlussreich über die Schwächen der derzeitigen Regierung ist das Gespräch mit dem Parlamentsabgeordneten Nikol Pashinyan. Er ist Vorsitzender der Civil Contract Party und eine der profiliertesten Stimmen der Opposition. Für seinen langjährigen Kampf gegen korrupte Regierungen saß er zwei Jahre im Gefängnis.

Nikol Pashinyan, Civil Contract Party © EOWA

Sein Wille, die Demokratie in Armenien zu stärken ist trotz vieler Rückschläge und persönlicher Gefährdung ungebrochen und macht vielen Armeniern Mut. Ein paar Tage nach unserem Treffen wird er bei einer Parteiveranstaltung sogar zum Kandidaten als künftiger Premier Armeniens nominiert.

Bei einem Besuch der unabhängigen Nachrichtenagentur Civilnet.am erfahren wir, wie die zentralgesteuerten Medien in der Vergangenheit den aktuellen Erfordernissen einer modernen demokratischen Gesellschaft angepasst wurden. Junge zwei- und dreisprachige Journalisten, die mit viel Herzblut und Engagement recherchieren, analysieren aktuelle Informationen auf lokaler, regionaler und globaler Ebene auf Armenisch, Englisch und Russisch.

Anoush Sedrakyan © EOWA

 

Bei einem Mittagessen mit der engagierten politischen Analystin und stellvertretenden Vorsitzenden der „Freien Demokraten“, Anoush Sedrakyan sprechen wir über das Verhältnis zu Russland. Sie beklagt die ihrer Meinung nach zu große Nähe Armeniens zu seinem großen Nachbarn, das an seinen Erzfeind Aserbaidschan Waffen verkaufe. Es fehle der Mut in der Regierung, sich von Russland zu distanzieren.

Lovers‘ Park © EOWA

 

 

Ein entspannender Spaziergang durch den Lovers’ Park, führt uns zu Sarhat Petrosan, Stadtplanungsfachmann und Mitbegründer des unabhängigen „Think&Do Tanks“ urbanlab. In 2007 bekam er den Auftrag, diesen Park in eine nachhaltige, urbane Landschaft zu verwandeln. Es macht Freude zu sehen, wie gut es trotz vieler Widrigkeiten gelungen ist, mitten in der Stadt diese kleine Oase zu schaffen.

Ashtarak © EOWA

 

 

 

 

 

Abends erkunden wir bei strömenden Regen im Dorf Ashtarak, die Kreuzkuppelkirche Karmrawor aus dem 7. Jahrhundert.

 

 

In dem Tal außerhalb von Jerewan stehen Ruinen und ziemlich verfallene aber dennoch bewohnte Häuser.

Unvergessliches Erlebnis mit Einheimischen © EOWA

 

 

 

Bei einem privat organisierten Abendessen lauschen wir gebannt unseren Gastgebern, die Legenden und Geschichten aus der armenischen Vergangenheit erzählen.

 

 

Ein Mann mit Durchblick: Matthias Kiesler © EOWA

 

 

 

Am nächsten Morgen: Besuch beim deutschen Botschafter Matthias Kiesler. Seine klare Analyse zur Situation des Landes macht uns das Dilemma Armeniens insbesondere zu Russland und seine Positionierung in der post-sowjetischen Zeit deutlich.

Er sieht für Armenien in künftigen Wahlen eine Chance, sich vom russischen Einfluss zu emanzipieren. Das größte Potenzial sehe er in der guten Bildung der jungen Bevölkerung, vor allem im IT-Bereich. Er hofft, dass sich Armenien dem Westen nähern werde.

 

 

Radio Free Europe © EOWA

Beim anschließenden Besuch bei Radio Free Europe treffen wir mit Hrair Tamrazian, dem Direktor des armenischen Programms zusammen. Eigentlich ist sein Hauptsitz in Prag, doch „Harry“ will hier dabei sein, wo sein engagiertes Team von Journalisten und Technikern jeden Tag ein 14-stündiges  Programm für das Internet aus dem Boden stampft. Modernste Studiotechnik,  Skype, Twitter und Facebook werden eingesetzt, um den Armeniern zu zeigen, „was wirklich in ihrem Land passiert“.

Projekte der Eurasia Partnership Foundation © EOWA

 

 

 

Isabella Sargsyan, Programmdirektorin der Eurasia Partnership Foundation spricht mit uns über das schwierige Verhältnis Armeniens zu den Nachbarländern Aserbaidschan und Türkei. Der Genozid vor 100 Jahren habe tiefe Narben, insbesondere im Verhältnis zur Türkei hinterlassen

 

 

Treffen mit einem Staatsvertreter © EOWA

 

 

 

Einer der Höhepunkte unserer Reise ist ein offizieller Besuch im Armenischen ParlamentGeneral Artak Zakaryan, Mitglied des Parlaments und Vorsitzender des Außenpolitikausschusses im armenischen Parlament, kommt in Begleitung mit 5 Protokollanten und Übersetzern. Jede unserer Fragen und auch die Antworten werden genau protokolliert. Da man uns als Medienvertreter wahrnimmt, ist man hier übervorsichtig.

Artak Zakaryan, Armenisches Parlament © EOWA

 

Sonia Aysvazyan, Transparency International © EOWA

 

 

Mit Sonia Aysvazyan, Executive Director von Transparency International (AI) sprechen wir über Korruption in Armenien. Wie in vielen Ländern ist Korruption eines der größten Probleme für die Entwicklung für dieses Land, das über wenige natürliche Ressourcen verfügt. Transparency International finanziert sich u.a. durch Gelder von USAid, EU und der Soros-Foundation. AI kann glücklicherweise weitgehend frei und auch investigativ arbeiten.

 

Wir verbringen einen Abend mit Lara Abaronian, Gründerin der Frauenschutzzentrum (Women’s Resource Center) in Armenien. An der Universität von Jerewan gibt sie Seminare über Gewalt gegen Frauen, Geschlechterrollen und Frauenrechte und vermittelt uns, dass Armenien noch einen weiten Weg zu einem Land mit gleichen Rechten für alle habe.

Dilidschan bei Regen © EOWA

Bei strömendem Regen brechen wir morgens zu einer eintägigen Mini-Rundreise durch Armenien auf. Trotz des schlechten Wetters sind wir beeindruckt von dem kleinen Ort Dilidschan, der schon im Mittelalter der Urlaubsort der armenischen Könige war und in der sowjetischen Zeit zu einem der führenden Kurorte des Landes ausgebaut wurde.

Goschawank Kloster © EOWA

 

Nicht weit von Dilidschan ein weiteres Highlight, das wir besuchen: Goschawank, das ehemalige Kloster der Armenisch-Apostolischen Kirche aus dem 12. Jahrhundert. Die mittelalterlichen Gebäude sind hervorragend restauriert und gelten als ein Haupttouristenziel des Landes.

Lunch am Sewansee © EOWA

 

 

Mittags schließlich erreichen wir den Sevansee, das größte Binnengewässer im Kaukasus. Der 78 km lange See liegt 1900 Meter hoch und ist vor allem in den heißen armenischen Sommern ein sehr begehrtes Ausflugsziel für die Hauptstädter. In einem nur für uns geöffneten Restaurant direkt am See vergessen wir schnell das unwirtliche kalte Wetter und nehmen am offenen Kamin bei einem köstlichen Fischessen allmählich Abschied von diesem kleinen faszinierenden Land mit seinen gastfreundlichen Menschen.

Heiliger Berg Ararat © EOWA

 

 

Auf dem Rückweg nach Jerewan öffnet sich die dichte Regendecke, einzelne Sonnenstrahlen hüllen die Landschaft in magisches Licht, und ganz plötzlich ist er vor uns, der 5.137 hohe Berg Ararat.